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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Das Europäische Parlament

Das Europäische Parlament mit Sitzen in Straßburg, Brüssel und Luxemburg wird seit 1979 regelmäßig alle fünf Jahre gewählt. Die Entscheidungen des EU-Parlaments haben einen direkten Einfluss auf das Leben der EU-Bürger. Aus dem einstigen "zahnlosen Tiger" ist längst eine einflussreiche Institution geworden, die bei den meisten Richtlinien mitentscheidet. Nach dem Beitritt von zehn neuen EU-Ländern und der Wahl im Juni 2004 hat das Parlament 732 Abgeordnete, die die Interessen von 455 Millionen Menschen vertreten.

Im Juni 1979 wurde das Europäische Parlament erstmals in allgemeinen und direkten Wahlen gewählt. Seitdem gehen die Bürger Europas regelmäßig alle fünf Jahre, letztmals im Juni 2004, zu den Wahlurnen, um ein gemeinsames Parlament zu wählen. Dadurch legitimiert hat das Parlament in der Folgezeit durch eine ganze Reihe von Verträgen zunehmende Befugnisse und wachsenden Einfluss auf die europäische Politik erhalten. Insbesondere die Verträge von Maastricht und Amsterdam haben die Einrichtung schrittweise von einer beratenden Versammlung in ein Parlament mit Gesetzgebungs- und Kontrollbefugnis verwandelt, welches auf europäischer Ebene Aufgaben wahrnimmt, die denen der nationalen Parlamente der Mitgliedsländer vergleichbar sind.

Lange galt das EU-Parlament als Abschiebebahnhof für Politiker aus der zweiten Reihe. Aber inzwischen ist aus dem "zahnlosen Tiger" eine Institution geworden, die bei rund 80 Prozent der EU-Richtlinien ein Mitentscheidungsrecht hat. Damit haben die Entscheidungen der Abgeordneten aus den 25 Mitgliedsländern auch einen direkten Einfluss auf das tägliche Leben der EU-Bürger.

Gleichberechtigt mit dem EU-Ministerrat entscheidet das Europaparlament über wichtige Themen wie die Verkehrs-, Sozial- und Entwicklungspolitik, den Verbraucher- und Umweltschutz, den Binnenmarkt, Forschung und Entwicklung oder Bildung und Kultur. Nach dem Entwurf zur EU-Verfassung soll das Gesetzgebungsrecht des Parlamentes von derzeit 40 auf 80 Bereiche ausgedehnt werden. Damit hätten die Abgeordneten auch ein Mitentscheidungsrecht bei Themen wie Asyl, Einwanderung, Grenzkontrollen oder Zivilschutz. Ausgenommen bleiben aber "sensible" Bereiche wie das Steuerrecht, Teile der Sozialpolitik sowie die Außen- und Verteidigungspolitik.

Das EU-Parlament muss der Ernennung der EU-Kommissare zustimmen und kann die Kommission mit einem Misstrauensvotum zu Fall bringen. Das Parlament verabschiedet den Gemeinschaftshaushalt, hat allerdings bei den wichtigen Agrarausgaben kein Mitspracherecht. Hier hat der Rat das letzte Wort. Dennoch treffen die Abgeordneten die letzte Entscheidung bei rund 55 Prozent der EU-Ausgaben und setzen damit politische Prioritäten. Diese Ausgaben fließen in den Sozial- und Regionalfonds sowie in die Bereiche Energie, Forschung, Verkehr, Entwicklungshilfe, Umwelt, Bildung und Kultur.

Im Europaparlament gibt es keinen Fraktionszwang. Mehrheiten bilden sich oft parteibergreifend, nicht selten nach dem Gesichtspunkt einer mehr oder weniger starken europäischen Integration. Auf diesem Gebiet gibt es unter den deutschen Kandidaten die allergrößte Koalition: Alle gelten als Anhänger einer noch engeren Zusammenarbeit der EU-Länder.

Die 732 Abgeordneten vertreten die Interessen von 455 Millionen Menschen (342 Millionen Wahlberechtigten) - vom Polarkreis bis zum östlichen Mittelmeer. Die Zahl der Abgeordneten aus den 15 alten EU-Ländern schrumpfte von bislang 626 auf 570, aus den zehn neuen EU-Ländern kommen 162 Parlamentarier. Deutschland hat mit weiterhin 99 Abgeordneten die meisten Mandatsträger. Das kleinste Kontingent von nur fünf Parlamentariern entsendet Malta. Für das frühere Schlusslicht Luxemburg bleibt es bei sechs Mandaten. Die Gesamtzahl der Sitze ist ein Ergebnis des Vertrags von Nizza. Mit den zehn neuen EU-Ländern steigt die Zahl der Amtssprachen von 11 auf 20.

In der letzten Wahl im Juni 2004 sind die Konservativen wieder zur größten Fraktion vor den Sozialisten geworden. Die Europäische Volkspartei (EVP) errang 276 Sitze, die Sozialisten 201. Drittstärkste politische Kraft im neuen EU-Parlament sind die Liberalen, die 66 Mandate erreichten. Die Grünen landeten mit 42 Sitzen auf Platz vier. Die Fraktion der Linksparteien (mit der PDS) kam auf 39 Mandate, die Nationalisten erzielten 27 Mandate. Insgesamt 66 Sitze nehmen die "Anderen" ein, zu denen rechtsgerichtete Formationen wie die österreichische FPÖ, der belgische Vlaams Blok oder die französische Front National gehören. Auch einige EU-Kritiker wurden in diese Rubrik eingeordnet, während die separatistische United Kingdom Independance Party der Fraktion für das Europa der Demokratien und der Unterschiede zugerechnet wurde (insgesamt 15 Sitze).

Für die Wahl zum EU-Parlament gibt es kein einheitliches europäisches Wahlrecht, das heißt, die Wahlen werden nach den jeweiligen nationalen Wahlordnungen durchgeführt. Eine Reihe von demokratischen Regeln sind jedoch in allen Ländern gemeinsam: Die wichtigsten sind das Wahlrecht mit 18 Jahren, die Gleichheit von Männern und Frauen sowie das Wahlgeheimnis. In Belgien, Griechenland und Luxemburg herrscht Wahlpflicht. Seit dem Maastrichter Vertrag, der 1993 in Kraft getreten ist, können alle Bürgerinnen und Bürger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union im Wohnsitzland wählen und gewählt werden.

Das Europäische Parlament ist die einzige Institution der EU, die öffentlich tagt und berät. Die Entschließungen, Stellungnahmen und Debatten des Parlaments werden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Die Abgeordneten arbeiten in den parlamentarischen Ausschüssen und Delegationen als ordentliche oder stellvertretende Mitglieder und tagen eine Woche pro Monat in Straßburg (Plenartagung). Zusätzlich notwendige kurze Plenartagungen finden in Brüssel statt. Das Generalsekretariat hat seinen Sitz in Luxemburg. Zwei Wochen pro Monat tagen die parlamentarischen Ausschüsse in Brüssel. Die verbleibende weitere Woche ist den Fraktionssitzungen vorbehalten.

Das Europäische Parlament hat somit drei Arbeitsorte: Straßburg, Brüssel und Luxemburg. Das hat laut EU historische Gründe, denn hauptsächlich in diesen drei Städten ließen sich die europäischen Institutionen nach ihrer Gründung nieder. Als Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung wurde Straßburg zunächst Sitz des Europarates, später dann auch Ort der Plenartagungen des Europäischen Parlaments. Ein Protokoll im Anhang zum Amsterdamer Vertrag von 1997 bestimmt: "Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg; dort finden die 12 monatlichen Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung statt. Zusätzliche Plenartagungen finden in Brüssel statt. Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments treten in Brüssel zusammen. Das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments und dessen Dienststellen verbleiben in Luxemburg." Ein Großteil der Beamten (insbesondere Dienste, die den Parlamentsorganen zuarbeiten) und die Mitarbeiter der Fraktionen sind in Brüssel angesiedelt.

Das EU-Parlament im Einzelnen

Der PräsidentDer Präsident leitet alle Tätigkeiten des Parlaments und seiner Gremien. Er leitet die Sitzungen des Plenums, des Präsidiums und der Konferenz der Präsidenten. Er vertritt auch das Parlament in seinen Beziehungen nach außen. Das Präsidium ist die administrative Leitung des Hauses und zuständig für den Haushalt des Parlaments sowie für Personal- und Organisationsfragen. Ihm gehören neben dem Präsidenten 14 Vizepräsidenten sowie fünf Quästoren mit beratender Stimme an. Die Quästoren befassen sich mit Verwaltungsfragen, die unmittelbar die Mitglieder betreffen. Die Konferenz der Präsidenten ist das politische Leitungsorgan des Parlaments, dem der Präsident und die Fraktionsvorsitzenden angehören. Sie beschließt die Tagesordnung des Plenums, legt den jährlichen Arbeitskalender der Parlamentsorgane fest sowie die Zuständigkeiten der parlamentarischen Ausschüsse.

Die FraktionenDie große Mehrheit der Abgeordneten gehört einer Fraktion an. Eine Fraktion muss multinational sein und eine bestimmte Mindestzahl von Mitgliedern aus mehreren Mitgliedsländern umfassen. Nur wenige Mitglieder bleiben fraktionslos und damit "Einzelkämpfer". Die meisten Fraktionen sind an politische Parteien gebunden, die auf europäischer Ebene organisiert sind und vom Vertrag anerkannt werden als "Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen". Jede Fraktion hat einen Vorsitzenden, einen Vorstand und ein Sekretariat. Bevor Berichte der parlamentarischen Ausschüsse im Plenum diskutiert und abgestimmt werden, werden sie in den Arbeitskreisen der Fraktionen erörtert - oft mit dem Ergebnis, dass Änderungsanträge im Plenum vorgelegt werden. Fraktionen spielen auch eine wichtige Rolle bei der Festlegung der Tagesordnung und der Auswahl der aktuellen Fragen für die Plenarsitzungen.

Die AusschüsseInsgesamt 17 Ausschüsse bereiten die Arbeiten des Plenums des Parlaments vor. Jeder Ausschuss ernennt einen Vorsitzenden und mehrere stellvertretende Vorsitzende und wird von einem Sekretariat unterstützt. Befassungen des Parlaments durch Rat und Kommission werden an die zuständigen Ausschüsse weitergeleitet, die ihrerseits einen Berichterstatter ernennen. Der Berichterstatter wird vom Sekretariat des Ausschusses betreut. Sein Berichtsentwurf wird im Ausschuss debattiert und abgestimmt und dann dem Plenum vorgelegt. Neben den ständigen Ausschüssen kann das Parlament auch nichtständige Ausschüsse und Untersuchungsausschüsse einsetzen.

Das GeneralsekretariatUnter der Leitung eines Generalsekretärs sind rund 3.500 Beamte aus allen Mitgliedstaaten der EU im Generalsekretariat des Parlaments beschäftigt. Sie alle sind mehrsprachig und mussten vor ihrer Einstellung Auswahlverfahren bestehen. Die Fraktionen verfügen über einen eigenen Mitarbeiterstab und den Abgeordneten stehen ihrerseits einige persönliche parlamentarische Assistenten zur Seite.



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