Home | Finanzlexikon | Börsenlexikon | Banklexikon | Lexikon der BWL | Überblick
Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
Suche :        
   A   B   C   D   E   F   G   H   I   J   K   L   M   N   O   P   Q   R   S   T   U   V   W   X   Y   Z   

Historische Schule

entstand in der Mitte des 19. Jh. in Deutschland als Reaktion gegen die als allzu rationalistisch, allgemeingültig und ahistorisch aufgefaßte - Klassische Theorie. Sie war damit letztlich eine Konsequenz der Hinwendung zum historischen Denken, die aus der Ablehnung der französischen Revolution und des angeblich ihr zugrundeliegenden aufklärerischen Rationalismus erwuchs. Erste Ansätze finden sich bei romantisch geprägten Staatsphilosophen wie Adam MULLER (1779-1829), v.a. aber in den Schriften Friedrich LISTs (1789-1846). Bei LIST mischen sich nationalistisches Gedankengut mit einer Kritik der Klassischen Theorie und Ansätzen zu einer Stufentheorie der Entwicklung. Aus der niedrigeren Entwicklungsstufe der deutschen Wirtschaft gegenüber der englischen wird die nur begrenzte Anwendbarkeit der als »englisch« charakterisierten Klassischen Theorie auf deutsche Verhältnisse, die Notwendigkeit von Schutzzöllen zur Förderung des heimischen Industrialisierungsprozesses und die Notwendigkeit einer aktiven Rolle des Staates, besonders auf dem Gebiet der Erziehung und des Transportwesens, abgeleitet. a) Den Begründern der Historischen Schule (Bruno HILDEBRAND, 1812-1878, Wilhelm ROSCHER, 1817-1894, und Karl KNIES, 1821-1898) schien LIST den Weg zu einer Überwindung der Klassischen Theorie zu weisen. Wie er, leugneten sie die Allgemeingültigkeit einer naturgesetzlich verstandenen ökonomischen Theorie und suchten, an ihre Stelle eine Analyse der »ökonomischen Entwicklungsgesetze der Völker« (HILDEBRAND) zu setzen. Insofern war das Ziel eine historisch fundierte Sozialwissenschaft, die eine Analyse wirtschaftlicher Institutionen einschloss und wirtschaftliche Verhaltensweisen als gesellschaftlich bedingt begriff. Doch erschöpfte sich das Werk ROSCHERs und HILDEBRANDS weitgehend in methodologischen Schriften und in Versuchen, LISTs Stufenschema der Wirtschaftsentwicklung zu verbessern. Auch KNIES\' Beitrag war methodologischer Natur; wo er theoretisches Neuland zu betreten suchte, bereitete er damit den Weg für die Entwicklung der - Neoklassischen Theorie. Dasselbe gilt für Albert E.F. SCHAEFFLE (1831-1905), der trotz aller Differenzen zur älteren Historischen Schule zu rechnen ist. b) In der sog. jüngeren Historischen Schule, der v.a. Gustav SCHMOLLER (1838-1917), Lujo BRENTANO (1844-1931), Karl BÜCHER (1847-1930) und Georg Friedrich KNAPP (1842-1926) zuzuzählen sind, schlug die Kritik an der überkommenen Klassischen Theorie in Ablehnung um, die oft zur Theoriefeindlichkeit wurde. An ihre Stelle trat historische Forschung: Wirtschaftswissenschaft wurde weitgehend identisch mit Wirtschaftsgeschichte, die sich jedoch des überkommenen Instrumentariums der Klassischen Theorie bediente oder sogar desjenigen der neuentwickelten Neoklassischen Theorie. Insofern war der zwischen SCHMOLLER und Carl MENGER (Österreichische Schule, - Neoklassische Theorie) in den Jahren nach 1883 ausgetragene sog. Methodenstreit weniger ein Streit um die richtige Methode wirtschaftswissenschaftlicher Forschung, als ein Streit um Forschungsprioritäten. SCHMOLLER ging es darum, zunächst einmal die wirtschaftsgeschichtlichen Grundlagen zu erarbeiten, um auf deren Basis eine geschichtlich fundierte Theorie aufzubauen; MENGER wies demgegenüber auf die Notwendigkeit analytischen Denkens für die Untersuchung wirtschaftshistorischer Fragestellungen und wirtschaftspolitischer Tagesprobleme hin. Ihre Schärfe erhielt die Debatte durch persönliche Animositäten und gegensätzliche politische Einstellungen. So wie SCHMOLLER und seine Schüler die Klassische Theorie ablehnten, so lehnten sie die daraus (besonders von den Anhängern der sog. - Manchester-Schule) gezogenen wirtschaftspolitischen Folgerungen ab. Betonung und Bejahung staatlicher Interventionen gingen Hand in Hand mit der Ablehnung freihändlerischer Prinzipien und der Forderung nach sozialpolitischen Maßnahmen. Als Sammelbecken für solche Bestrebungen gründete SCHMOLLER 1872 den »Verein für Socialpolitik«, dessen Mitglieder sich bald die (zunächst als Schimpfnamen gemeinte) Bezeichnung »Kathedersozialisten« zu eigen machten. Nichtsdestoweniger ist die Ablehnung sozialistischen Gedankengutes ein Charakteristikum der älteren wie der jüngeren Historischen Schule. Eine ernsthafte Auseinandersetzung insbes. mit dem Werk von Karl MARX erfolgte erst bei Werner SOMBART (1863-1941) und Max WEBER (1864-1920) in ihren Versuchen, die Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems aus dem Zusammenspiel materieller und geistiger Entwicklungen zu verstehen. Beide verbanden dabei soziologische Gedankengänge mit wirtschaftshistorischen; nur WEBER gelang es, auch wirtschaftstheoretische Analysen in seine Überlegungen einzubeziehen. Neben SCHMOLLER standen Adolf WAGNER (1835-1917), der sich als »Staatssozialist« bezeichnete, und Lujo BRENTANO, der sich zuallererst als Liberaler begriff. Ihnen allen gemeinsam war das Selbstverständnis als »politischer Professor« und damit der Glaube, dazu aufgerufen zu sein, wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen nicht nur zu analysieren, sondern auch vorzuschlagen und politisch zu propagieren. Dagegen wandte sich Max WEBER im sog. Werturteils-streit mit seiner rigorosen Trennung von Sachaussagen und Werturteilen. Wie vor ihm MENGER, gaben ihm weniger die Zeitgenossen als die weitere Entwicklung der Wissenschaft Recht (Werturteil). Die Historische Schule hatte ihren Höhepunkt vor dem ersten Weltkrieg. Angesichts ihrer Mißachtung der ökonomischen Theorie und des analytischen Denkens war sie für die weitere Entwicklung der Wirtschaftstheorie nur auf einzelnen Gebieten fruchtbar, so v.a. in dem der Konjunkturtheorie gewidmeten Werk Arthur SPIETHOFFs (1873-1957), in der Geldtheorie und in der Theorie der Wirtschaftsordnungen, in der Walter EUCKEN (1891-1950) einige der zentralen Anliegen der Historischen Schule in veränderter Form wieder aufnahm (Freiburger Schule). Obwohl weitgehend auf Deutschland beschränkt, fand die Historische Schule Anhänger v.a. in den USA (Institutionalismus) und in England. Literatur: Müssiggang, A. (1967). Eisermann, G. (1956)



<< vorhergehender Fachbegriff
 
nächster Fachbegriff >>
Hirtenkultur
 
historischer Umrechnungskurs
 
Weitere Begriffe : Produzent | antizipativer(s) Hedge, Hedging | Sanierung durch Fremdkapitalkonsolidierung
 
Copyright © 2015 Wirtschaftslexikon.co
Banklexikon | Börsenlexikon | Nutzungsbestimmungen | Datenschutzbestimmungen | Impressum
All rights reserved.