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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Mikropolitik und Umweltschutz

Unternehmenspolitik wird im allgemeinen als ein Prozeß sozialer Auseinandersetzungen begriffen, der durch das interdependente Handeln aller Organisationsmitglieder gekennzeichnet ist, und zwar in erster Linie durch das Durchsetzen und Sichern von Interessen und Zielen. Politisch bedeutet, daß dieses durch die Ausübung von Macht geschieht. Das Konzept geht von Akteuren aus, die innerhalb der Organisationen und der bestehenden formellen wie informellen Machtverhältnissen ihre eigenen Interessen verfolgen. „Organisationen werden als mikropolitisches Ressourcen- und Wertverteilungssystem betrachtet. Hierbei wird der Schwerpunkt der Betrachtung auf die bewußte Akkumulation von Macht und den gezielten und dosierten Einsatz von Machtmitteln als zentrale Erfolgsfaktoren ego-orientierten Verhaltens gelegt“ (Krüssel 1996). Bei Neuberger (1995) wird dieses als alltäglicher Aufbau und Einsatz von Macht beschrieben. Es geht in der mikropolitischen Analyse um Rationalität, um Spiele und um Macht in Organisationen, mit dem Ziel, durch den systematischen Rekurs auf die Machtpolitik und die Spielstrategien der Akteure ein besseres Verständnis der Beziehungen zwischen Strukturen und Handlungen zu erhalten. Der Mikropolitik-Begriff ist in Deutschland von Bosetzky eingeführt worden und beruht auf dem Begriff „micropolitics“ von Burns, der ihn 1962 in die sozialwissenschaftliche Diskussion eingeführt hat. Bosetzky definiert Mikropolitik als „die Bemühung, die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen zu verwenden sowie zur Sicherung und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen“ (Bosetzky 1972). Mikropolitik meint im Unterschied zur großen Politik, z. B. der Unternehmenspolitik, jene alltäglich kleinen, unauffälligen, unterschwelligen Techniken in der Feinstruktur der Organisation, „mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und sich fremder Kontrolle zu entziehen“ (Neuberger 1995). Im einzelnen geht es in dem Konzept um das menschliche Verhalten in Organisationen, welches Ausdruck persönlicher Strategie und Ambition ist. Die Machtbeziehungen sind der zentrale Regulierungsmechanismus und die Funktionsweise der Organisationen ist das Resultat einer Reihe von Spielen einschließlich der formellen und informellen Regeln, die „indirekt die Integration der widersprüchlichen Machtstrategien der Organisationsmitglieder bewirken“ (Köpper/ Ortmann 1986). Im Rahmen der ökologischen -Unternehmensführung soll der theoretische Ansatz der Mikropolitik die bisher kaum bis dato definitiv thematisch Einflußnahme der Belegschaft und der übrigen mikropolitischen Akteure auf die Umsetzung und Einführung eines systematischen Umweltmanagements und der Organisation des betrieblichen Umweltschutzes darlegen. Umweltmanagement aus mikropolitischer Perspektive Inzwischen ist deutlich geworden, daß der Einsatz von Umweltschutz allein nicht mehr ausreicht. Erfolgreicher Umweltschutz bedeutet aufgrund der heterogenen Ansprüche mehr als nur den Einsatz von technischen und sozialen Lösungen. Die Nutzung der Chancen, die sich durch Innovationen ergeben können, erfordern vor allem innerbetrieblich eine optimistische Koordination und Kooperation, wie es bei der Einführung von Instrumenten des betrieblichen Umweltmanagements deutlich geworden ist. Die Integration aller Prozesse und aller Funktionsbereiche ist dabei das Hauptproblem der ökologischen Veränderung im Unternehmen („Qualitätsfunktion Umweltschutz“), denn die Implementierung von Umweltschutzmaßnahmen läuft keineswegs nach den formalen Strukturen der Betriebsorganisation und einer zweckrationalen Logik ab, sondern muß als ein Zusammenspiel der diversen Interessen betrieblicher Akteure aufgefaßt werden und wird „durch die unterschiedlichen sozialen Strategien der Akteure überlagert und von diesen über weite Strecken beherrscht“ (Burschel 1996). Für die ökologische Modernisierung und betriebliche Reorganisation sind ganzheitliche Management-Ansätze gefragt. Die mikropolitische Analyse ist in der Lage, diese exemplarischen Prozesse für den Einzelfall in ausreichendem Maße zu beschreiben. Aus dieser Perspektive zeigen sich die komplexen Rahmenbedingungen für ökologische Innovationsprozesse und Modernisierungen, mit all den Schwierigkeiten, aber auch den Möglichkeiten. Zumal die Tendenz in Richtung integrierte Umwelttechnik die Managementanforderungen erhöht. Es geht um Interessen und Macht, um Durchsetzungsvermögen und Koalitionen im Rahmen des ökologischen Modernisierungsprozesses. In der Praxis wird aber insbesondere das Thema Umweltmanagement von solchen mikropolitischen Aspekten beeinflußt, da alle Bereiche, alle Hierarchieebenen und auch alle Disziplinen berührt. Zusätzlich spielen dabei persönliche Einstellungen, Motive und Interessen eine Rolle, die den ökologischen Handlungs- und Entscheidungsspielraum determinieren können. Der ökologische Modemisierungsprozeß vollzieht sich als hochkontingenter Doppelprozeß, der sowohl die ökonomischen und technischen als auch die organisatorischen, politischen und sozialen Bereiche beeinflußt und damit sämtliche innerbetriebliche Handlungs- und Konfliktkonstellationen berührt. Birke/Schwarz bezeichnen dieses als einen machtdurchwirkten und ergebnisoffenen Such- und Lernprozeß, insbesondere, weil immer mehrere Entwicklungsvarianten offenstehen und die „Eingriffe in die eingespielten technischen, ökonomischen und organisatorischen \'Betriebsparadigmen\' immer mit Konflikten und Aushandlungen einhergehen” (Birke/Schwarz 1994). Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß die ökologische Handlungsfähigkeit vom Ausmaß der ökologischen Ausrichtung der Unternehmensführung abhängig ist. Je aktiver ein Unternehmen die Integration des Umweltschutzes angeht und je konsequenter ein offensives Umweltmanagement betrieben wird, desto größer ist die Handlungsfähigkeit, desto geringer sind die Willensbarrieren und um so weniger ist mit Widerständen bei der Umsetzung ökologischer Entscheidungen zu rechnen. Ausgangspunkt ist jeweils der ökologische Entscheidungsprozeß. Eine umweltbezogene Krise kann zu einer Interessenbetroffenheit und zu Interessengegensätzen zwischen ökologischen und nicht-ökologischen Akteuren führen. Es kann zu Zusammenschlüssen und Bündnisbildungen zwischen betroffenen Akteuren kommen, zu Machtkämpfen innerhalb der Koalitionen. „Durch diese intensiven Konflikte können die bestehenden Machtverhältnisse in der Organisation destabilisiert werden, oder aber es werden neue stabile Machtkonstellationen geschaffen“ (Krüssel 1996). Welche Interessen sich in der Organisation oder im Entscheidungsprozeß durchsetzen, ist abhängig von der Machtausübung der Akteure. Zumindest läuft das in der Praxis nicht unter rationalen Gesichtspunkten ab. Zusätzlich bestimmt das Ausmaß der ökologischen Ausrichtung der Unternehmen die Machtrelationen in Form von Strukturen und Spielregeln. „Durch eine zunehmende Institutionalisierung ökologisch angereicherter Strukturen, Verfahrensvorschriften, Stellenbeschreibungen etc. werden ökologische Interessen Teil der Herrschaftsstruktur“ (Krüssel 1996). Das bedeutet wiederum, je aktiver und konsequenter ein Unternehmen Umweltmanagement betreibt und ökologisch ausgerichtet ist, desto geringer sind die Macht- und Interessenunterschiede zwischen den ökologischen und den nicht-ökologischen Akteuren. Die Verknüpfung von ökologischen Anliegen, parallel laufenden Interessen und persönlichen Motiven ist von entscheidender Bedeutung. Gerade im Falle eines erfolgreichen und innovativen Umweltmanagements spielen individuelle Akteure und deren Motiv- und Interessenlagen eine wichtige Rolle, z. B. persönliche Profilierung durch Umweltschutz oder wirtschaftliche Einsparmaßnahmen. Umweltschutz im Betriebsalltag Im Rahmen der Einführung von Umweltmanagementsystemen muß für einen erfolgreichen integrierten Umweltschutz beachtet werden, daß weder Unternehmen noch Ökologisierungsprozesse nach zweckrationalen Gesichtspunkten funktionieren und strategisch durch eindeutige Effizienzkriterien steuerbar sind, so wie es in den betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern beschrieben wird. Umweltmanagementprozesse werden durch die latenten Konflikte, Orientierungsmuster und die divergierenden Interessen und Problemwahrnehmungen, die das Innenleben aller Betriebe prägen, in großem Maße beeinflußt. Umweltmanagement im besonderen, weil die erhöhten Kooperationsund Koordinationsanforderungen eines integrierten Systems noch intensiver von mikropolitischen Prozessen des Wahmehmens, Interpretierens und des konflikthaltigen Verhandelns bestimmt werden. „Ohne ein Wissen über diese analytisch meist ausgeblendeten Probleme beim Aufbau eines Umweltmanagements werden Erfolgsfaktoren wie Wirkungsweisen der ökologischen Modernisierung von Unternehmen strukturdeterministisch auf Ökonomie, Technik und Organisation kurzgeschlossen, ohne den empirischen Befund \'situative Uneinheitlichkeit und Unübersichtlichkeit\' analytisch präzisieren zu können“ (Birke 1995). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt (Burschel 1996) in seiner empirischen Untersuchung über die Implementierung betrieblicher Umwelttechnik und die Erfahrungen und Einstellungen der Belegschaft und des Managements zum betrieblichen Umweltschutz. Die Einführung von Umweltschutzmaßnahmen in Industriebetrieben läuft nicht nach festgelegten Organisationsstrukturen ab, sondern als eine Mischung diverser mikropolitischer Einflußnahmen der verschiedenen beteiligten oder nicht-beteiligten Akteure und kann sogar zu einer Blockade von integrierten Umweltschutzlösungen führen. „Verhandlungsgegenstand in den so entstehenden \'mikropolitischen Arenen\' sind vorwiegend betrieblich-soziale Besitzstände der Akteure und erst nachrangig ökologisch-sachrationale Argumentationsmuster“ (Burschel 1996). Folgende Handlungstypen wurden von Burschel extrahiert: der konservative Reaktive; der Sachzwangapologet; der strategische Sozialtechnologe; der unaufgeregte Umweltschutzpragmatiker. Interessanterweise fehlt etwa ein Typus des „Umweltschutzidealisten“ oder ein ähnlicher Typ in dem untersuchten Unternehmen. Das Spektrum der Typen verweist einerseits auf die Heterogenität des Interessenspektrums, andererseits auch auf die damit notwendig werdenden Maßnahmen der Personal- bzw. Organisationsentwicklung. Statt eindeutiger Strategien, werden die ökologischen Reorganisationsprozesse durch folgende Kontingenzen und typischen Verläufe dominiert: von „trial and error“ als Ausweg, daß es keinen „one best way“ und keine konsistenten Gesamtkonzepte einer betrieblichen Ökologisierung gibt, von einem „muddling through“, einem „Durchwursteln“ als Versuch, die Vielzahl von Konzepten und Entscheidungsalternativen zu bewältigen und von der „strategischen bricolage“ (Ortmann 1990), dem ständigen Experimentieren in diesem Bereich, trotz der Erkenntnisse des modernen Projektmanagements. Diese Verläufe der Reorganisationsprozesse sind aus der Sicht der Unternehmen höchst prekär und können „insbesondere wegen ihrer latent bleibenden Konflikte zum Nadelöhr ökologischer Unternehmensreform“ (Birke 1995) werden. Als Ausweg aus diesem mikropolitischen Dilemma können Ansätze einer ökologischen Organisationsentwicklung und der lernenden Organisation dienen, um einen erfolgreichen betrieblichen Umweltschutz zu ermöglichen. Grundlage dazu ist, daß die Unterschiede zwischen den organisatorischen Umweltschutzanforderungen und den Managementerfordernissen von den Unternehmen erkannt und berücksichtigt werden. Die bisherigen dominierenden technischen Umweltschutzmaßnahmen müssen koordiniert und „in einen sukzessiven Prozeß ökologischer Reorganisation mit modernen Managementmethoden und Organisationsentwicklung“ (Birke 1995) überführt werden. Diese Ausrichtung des Umweltmanagements ist erforderlich, um in geeigneter Weise mit den mikropolitischen Konflikten umgehen zu können und damit langfristig einen Weg der ökologischen Neuorientierung der Unternehmen zu ebnen. Weiterführende Literatur: Birke, M./ Schwarz, M.: Umweltschutz im Betriebsalltag. Praxis und Perspektiven ökologischer Arbeitspolitik; Birke, M./ Schwarz, M.: Ökologische Unternehmensführung bedeutet den Abschied von traditionellen Verhaltensmustern, in: LeitschuhFecht, H./ Burmeister, K.: Die Zukunft der Unternehmen in einer ökologischen Wirtschaft, Frankfurt a. Mikropolitik und Umweltschutz 1994; Birke, M.: Vom betrieblichen Umweltschutz zur Betriebsökologie? Zur Mikropolitik ökologischer Modernisierung, in: Freimann, J./ Hildebrandt, E. (Hrsg): Praxis der betrieblichen Umweltpolitik. Forschungsergebnisse und Perspektiven, Wiesbaden 1995; Burschel, C.: Umweltschutz als sozialer Prozeß. Die Organisation des Umweltschutzes und die Implementierung von Umwelttechnik im Betrieb, o. O. 1996; Krüssel, P.: Ökologieorientierte Entscheidungsfindung in Unternehmen als politischer Prozeß. Interessensgegensätze und ihre Bedeutung für den Ablauf von Entscheidungsprozessen, München, Mering 1996; Köpper, WI Ortmann, G.: Mikropolitik in Organisationen, in: Die Betriebswirtschaft 46, Heft 5, Stuttgart 1986; Neuberger, 0.: Mikropolitik. Der alltägliche Aufbau und Einsatz von Macht in Organisationen, Stuttgart 1985; Ortmann, G.: Mikropolitik und systemische Kontrolle, in: Bergstermann, J./ Brandherm-Böhmker, A. (Hrsg.): Rationalisierung als sozialer Prozeß. Rahmenbedingungen und Verlauf eines neuen betriebsübergreifenden Rationalisierungstyps, Bonn 1990.



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