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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Zinstheorie

gedanklicher Rahmen zur Bestimmung der Eigenschaften des Zinses, zur Evaluierung der Einflüsse auf Zinsniveau und - Zinsstruktur sowie zur Analyse der Wirkungen, die von Zinsen auf andere wirtschaftliche Größen ausgehen oder in gesamtwirtschaftlichen Transmissionszusammenhängen auftreten. Zinssätze sind Bestandshaltepreise, die sich auf Finanzmärkten bilden. Sie beziffern die während der Laufzeit des Geschäfts gültigen periodischen Leistungen, bezogen auf eine Währungseinheit. Als Bestandshaltepreise werden sie nicht für definitive Überlassung (»Kaufpreise«), sondern für zeitweise Überlassung von Gegenständen berechnet. Da gerade bei Finanzgeschäften die Nebenschulden in vielfältigster Art und Weise bestimmt werden, berechnet man »Renditesätze« in Form (relativer) Ertragsraten, die bestmögliche Vergleichbarkeit gewährleisten sollen. So versteht sich die Geldrendite als ein Konstrukt, das den pekuniären und ggf. nicht pekuniären Gelderträgen sowie (im Falle der Realkasse) den erwarteten Deflation- bzw. Inflationsraten Rechnung trägt. Wertpapierrenditen bringen zum einen die durch Nominalzinssätze bestimmten Zahlungsströme, zum anderen die durch Aus- oder Rückzahlungsmodalitäten bestimmten Preisbestandteile und schließlich auch die Kursänderungserwartungen zum Ausdruck. Aktienrenditen berücksichtigen darüber hinaus Deflationsbzw. Inflationsraten zur Erfassung der in den Dividenden angelegten »Indexierung«. Vollständige Konkurrenz auf vollkommenen Finanzmärkten müßte gleiche Renditesätze herstellen. Eine mit der Vorgabe effizienter Finanzmärkte arbeitende, an Renditesätzen orientierte Zinstheorie könnte sich darum unbedenklich dem »Zinsniveau« widmen, sollte jedoch dann durch eine Theorie der Zinsstruktur ergänzt werden, um die konkrete Vielfalt aufgrund von Unterschieden in Fristigkeit, Bonität, Besteuerung, Abwicklung per Kassa oder per Termin, als NullKupon-Kontrakt oder mit Zinseszinsvereinbarung usw. zu erfassen. Mit Rücksicht auf die ihr zugrundeliegenden Bestandshaltepreise ist die Zinstheorie der Vermögens- resp. Kapitaltheorie zuzuordnen. Auseinandersetzungen um die loanable-funds-Theorie haben diesbezügliche konzeptionelle Unschärfen geklärt. Gegenstand des Interesses sind danach nicht Stromgrößen, sondern Bestands(änderungs-)größen, so dass stets Anfang t und Ende T einer Planungsperiode mit den zugehörigen Beständen ins Auge zu fassen sind. Läßt sich beispielsweise die Beziehung zwischen Einstands-wert Pt und Endwert pi eines Finanzgegenstands auf die Formel Zinstheorie bringen, ergeben sich zwei äquivalente Darstellungsmöglichkeiten dieser Beziehung, welche den periodendurchschnittlichen relativen Bestandsänderungen Ausdruck verleihen: Zinstheorie Der vermögenstheoretische Aspekt kommt bei Finanzgeschäften zum Tragen, die als Vollzug intertemporaler Konsumpläne den Präferenzen, darunter Zeitpräferenzen, Rechnung tragen. Die hierbei zu beachtende intertemporale Budgetrestriktion nimmt auf Einkonunenserwartungen und auf die gegebenen organisatorisch-technischen Voraussetzungen der Zeitüberbrückung Bezug. Denn die Verwirklichung zeitübergreifender Planungen bedarf der effektiven Möglichkeit, Ressourcen, insbes. auch Kaufkraft von einer Periode zur anderen zu verlagern. Solcher Zeitüberbrückung dient sowohl ein tauschwirtschaftlicher Geschäftstypus, nämlich der Abschluss von Darlehensverträgen, als auch eine produktionswirtschaftliche Aktivität, nämlich das Einschlagen von Produktionsumwegen. Hauptsächlich ältere Zinstheorien (Nassau W. SENIOR, Eugen v. BOHM-BAWERK, Irving FISHER) haben diese Probleme zum zentralen Untersuchungsgegenstand erhoben. Basierend auf Planungen, die zukünftige Ereignisse in Betracht ziehen, reiht sich die Zinstheorie in die allgemeine Entscheidungstheorie ein. Dementsprechend ist »der« Zins mit den Phänomenen Risiko und Unsicherheit eng verschwistert. Die Aspekte prägen v.a. partialanalytische Überlegungen zum Gleichgewichtszins und zur -) Zinsstruktur. Die Märkte sind jedoch ihrerseits Bestandteile umfassenderer Systematisierungen des Wirtschaftsgeschehens. Im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang läßt sich der kapitaltheoretische Charakter der Zinstheorie durch eine stark reduzierte, (nicht notwendigerweise) deterministische Modellversion deutlich machen. Sie nutzt Gleichgewichtsfunktionen und ist auf drei charakteristische Bestände des Finanzvermögens V, nämlich Geld M, inländische Wertpapiere B und Auslandsanlagen F (in Inlandswährung ausgedrückt: eF), zugeschnitten. Als Bilanzrestriktion gilt V = M + B + eF. Die Variable i ist als Zinssatz, besser als Vektor von Renditen aufzufassen. Das wegen des WALRASschen Gesetzes auf zwei Gleichungen reduzierbare Modell erklärt simultan Zins i und Wechselkurs e aus vorhandenen Beständen und Bestandshaltewünschen, und es erlaubt z.B. komparativ-statische Wirkungsanalysen der Offenmarktpolitik (z.B. dM = -dB). Weiteres makroökonomisches Blickfeld öffnet sich der Zinstheorie bei Komplettierung des Modells durch Hypothesen zur Transaktionskassenhaltung, zu Gegebenheiten der Güternachfrage (IS-Funktion), zu Produktions- und Angebotsbedingungen (Angebotsfunktion) und zu Zahlungsbilanzaspekten (ZZ-Funktion). Die Zinstheorie wird damit in den Rahmen gesamtwirtschaftlicher Gleichgewichtsüberlegungen gestellt. Da in diesem ausgedehnten Beziehungsgeflecht u.a. auch Reinvermögensbildung (Ersparnis: = dW/dt) und Sachvermögensbildung (Investition: = dK/dt) einbezogen sind, wird die Nähe des Zinses zu dynamischen Phänomenen erkennbar. Neuere Modellierungen arbeiten die Dynamik noch klarer heraus. Ungleichgewichtsmodelle beschreiben Zinsänderungen als Marktreaktionen auf Diskrepanzen von Angebot und Nachfrage bei Gegenständen des Finanzvermögens. Andere Modelle gelangen zu dynamischen Formen, ohne die jederzeitige Markträumung in Frage zu stellen: Sie wenden ihre Aufmerksamkeit verstärkt den Beständen zu, oft, indem sie statt auf den Zins i auf den Preis des jeweiligen Bestandsgutes, d.h. den Kurs k: = 1/i abstellen (wobei für das Vermögensobjekt eine ewige Rente in Höhe von 1 Währungseinheit angenommen wird). Es liegt dann nahe, in Verhaltenshypothesen (etwa zur Geldnachfrage) diese erklärende Variable um eine weitere, nämlich die Kursänderungserwartungen k /k (mit k : = dk/dt), anzureichern, also, zusammengefaßt, auf die (Rendite-)Variable (1+k)/k überzugehen. Auch damit ist die Dynamik im Modell verankert und den Theorien über die Bildung von Erwartungen Eingang verschafft. Zinstheorie Im vollen Licht zeigt sich die dynamische Eigenschaft jedoch erst bei Modellen, die über die »kurze Frist« hinausblicken. Wertet man beispielsweise eine linear-homogene Produktionsfunktion Y = y(N,K) im Sinne der Grenproduktivitätstheorie der Verteilung aus, indem man in der Version Y = yNN + yKK die Grenzproduktivitäten durch Vergütungssätze substituiert und Y = wN + rK erhält, dann ist die Vergütung pro Sachkapitaleinheit auch als Sachkapitalrendite gemäss internem Zinsfußkonzept deutbar. Das Wertgrenzprodukt des Kapitals (yK • p) wird in diesem Zusammenhang als ewige Rente des unvergänglichen Kapitalstocks K (mit Preis q) aufgefaßt. Diese Sachkapitalrendite entspricht der gleichgewichtigen Wachstumsrate des Kapitalstocks   1/K(t) • dK(t)/dt , sofern man wie die KALECKI-Verteilungstheorie eine Parallele von Einkommensverteilung Y = wN + rK und Einkommensverwendung Y = C + S bildet, und zwar derart, dass S = rK = I = dK(t)/dt. Wenn sich darüber hinaus das Verhältnis von Lohnsatz w und Sachkapitalrendite r nicht ändern soll, ergibt sich für die Wachstumsraten von Sachkapital k und Beschäftigung ll im steady state: Zinstheorie Für das finanzwirtschaftliche Phänomen (Real-)Zins erhält dieser wachstumstheoretische Zusammenhang deshalb Bedeutung, weil im Marktprozess eine Angleichung aller relativen (Bestandshalte-) Preise, damit auch der Sach- und Finanzkapitalrenditen zu erwarten ist. Das Interesse der Geldpolitik findet der Zins als Instrument zur Auslösung monetärer Impulse, als Vehikel im Transmissionsprozess und als Indikator der Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen. In jeder Hinsicht besteht modellspezifischer und empiriebezogener Differenzierungsbedarf. Die instrumentale Nutzbarkeit des Zinses hängt maßgeblich davon ab, in welchem Umfang die Zentralbank als lender of last resort gefragt ist. Bedeutsam ist ferner, mit welcher Wirkungsverzögerung und Wirkungsstärke die gewöhnlich am Geldmarkt ausgelösten Impulse auf den Kapitalmarkt und (immer wichtiger) auch auf den Devisenmarkt ausstrahlen. Schließlich ist je nach Grad der Unsicherheit in den Schätzfunktionen für güterwirtschaftliche und monetäre Gegebenheiten (POOLEsches Kriterium) u.U. Geldmengenpolitik der Zinspolitik vorzuziehen. Als Vehikel im Transmissionsprozess versagt sich der Zins bei gegenseitiger Abschottung der finanziellen und güterwirtschaftlichen Sphären (Dichotomie). Die KEYNES-Fälle zeigen, dass auch bei strukturell grundsätzlich integrierten Systemen eine Zinsinsuffizenz auftreten kann. Normalerweise ist derartiger Pessimismus aber nicht gerechtfertigt. Vielmehr verlaufen Zinswirkungen über vier Transmissionskanäle: über den Kanal der Kapitalnutzungskosten, über die Beeinflussung des verfügbaren Einkommens durch Zinsvergütungen, über Wechselkurseffekte nach dem von der Zinsparitätentheorie erfaßten Muster und schließlich über zinsinduzierte - s Vermögenseffekte. Auch dann können geldpolitische Intentionen noch ad absurdum geführt werden, wenn etwa bei rationalen Erwartungen die Wirtschaftssubjekte hinter den »Geldschleier« blicken und der maßgebliche Realzins unverändert bleibt. Dies ist der Fall, wenn sich im Nomalzinsniveau die zu erwartenden Deflations- oder Inflationsraten exakt abbilden (FISHER-Effekt). Die Indikatorqualität des Zinses ist vollends problematisch. Auf alle Fälle müßte hier von einem Zinsvektor bzw. von der Zinsstruktur ausgegangen werden. Bezieht man sich vereinfachend auf ein Konstrukt »Zinsniveau«, hat man in Rechnung zu stellen, dass es von Liquiditäts-, Realeinkommens- und Preisniveaueffekten beeinflußt wird, die nicht gleichgerichtet sind, so dass sich im Anpassungsprozess (zeitlich verteilt) unterschiedliche Tendenzen einstellen. Zinstheorie Der FISHER-Effekt kann erst recht dazu verleiten, etwa eine (Nominal-)Zinssteigerung als Indiz für restriktive geldpolitische Wirkungen zu deuten, obwohl in Wirklichkeit die Märkte eine expansive geldpolitische Absicht erkennen und ihre Inflationserwartungen im Nominalzins verankern. Der Zugang zu ökonomischen Problemen mittels zeit- und generationenübergreifender Konzeptionen (overlapping-generations-Modelle), die gewonnene Routine im Umgang mit makroökonomischen Modellen und das große Angebot an ökonometrischen Schätzungen haben die Zinstheorie in den letzten Jahrzehnten endgültig aus der finanzwirtschaftlichen Isolierung befreit und zum integralen Bestandteil übergreifender Systematisierungen des volkswirtschaftlichen Institutionengerüsts und Beziehungsgeflechts gemacht. Literatur: Green, Ch.J. (1991). Harns, L. (1988). Lutz, F.A. (1967)



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